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Das darf beim Schreiben nicht fehlen von Mira Alexander. Das Bild zeigt einen alten Plattenspieler. Colorierte Digitalzeichnung.

Tag 6: Das darf beim Schreiben nicht fehlen

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Veröffentlicht: 06.01.2017
Anzahl Wörter: 514
Lesedauer: 2 min

Ich brauche nicht viel zum Schreiben. Eigentlich brauche ich sogar ziemlich wenig: Meine Tastatur, einen der Computer und eine Kanne heißen Tees.

Die wichtigste Zutat ist die Ruhe.

Doch die wichtigste Zutat ist die Ruhe. Ab und dann lasse ich nebenbei Musik laufen, doch meistens genieße ich die Stille um mich herum. Das Problem mit der Musik ist, dass sie ein starker Emotionsträger ist. Ich habe schon eine komplette Geschichte in meinem Kopf entstehen sehen (und „sehen“ meine ich ganz wörtlich, komplett mit Farbe, Special Effects und natürlich Ton) während eines einzigen Musikstücks. Zugegeben, ich musste es drei Mal hintereinander laufen lassen, bis ich alle Notizen beisammen hatte. Doch es war mitten in der Nacht, meine Augen mussten sich erst wieder ans Licht gewöhnen und ich war mehr damit beschäftigt, den Film in meinem Kopf zu genießen als ihn aufzuschreiben.

Ich bin eine Plotterin, d.h., ich entwickle eine Szene in mehreren Schritten. Mit dem eigentlichen Schreiben beginne ich erst, wenn ich alle Teile beisammen habe, wie On-/Offstage-Charaktere, ihre Ziele, ihre Konflikte etc. Das bedeutet auch, dass mir die emotionale Entwicklung der Charaktere während der Szene bereits vorher bekannt ist.

Eine Szene beginnt für Charakter A mit der Trauer über den Tod eines ihm wichtigen Menschen und endet damit, dass ihm bewusst wird, wie sehr er von diesem Menschen hintergangen worden ist. Also wandelt sich die vorherrschende Emotion im Verlaufe der Szene von Trauer zu Erleichterung gemischt mit Verletzung und vielleicht Bedauern, dass er so lange gebraucht hatte, um das Offensichtliche zu begreifen.

Eine andere Szene beginnt damit, dass für unseren beschwingten Charakter B der Himmel voller Geigen hängt, er alles für einen perfekten Heiratsantrag vorbereitet hatte und dann erwischt er seine große Liebe mit einem anderen im Bett. Von himmelhoch jauchzend bis zu Tode getrübt in unter zwei Sekunden.

Wenn ich schon von Anfang an weiß, welche emotionale Achterbahn meinen Charakteren bevorsteht, warum also keine passende Musik dazu? Weil eine Szene schneller gelesen ist als geschrieben ist. Ich habe sehr wohl eine genaue Vorstellung über das zu einer Szene passende Soundtrack. Nur entspricht dieses Soundtrack der Lesegeschwindigkeit dieser Szene, nicht deren Schreibgeschwindigkeit.

Ein Soundtrack entspricht der Lesegeschwindigkeit einer Szene, nicht der Schreibgeschwindigkeit.

Damit ich zu einem Musikstück meine Szene schreiben kann, müsste ich es in slow motion abspielen. Sie haben doch schon bestimmt erlebt, wie sich das anhört, oder? Schon jemals eine LP bei 33 statt 45 Umdrehungen abgespielt? Kleiner Scherz am Rande, ich weiß, dass die meisten unter uns keine Ahnung mehr haben, was der Unterschied zwischen 33 und 45 Umdrehungen ist. Auch für mich sind das nicht mehr als Kindheitserinnerungen an ein Gerät, das so groß war, wie zwei Reisekoffer zusammen. Die Hörgeschichten, die ich darauf abspielen durfte, habe ich innig geliebt und kannte auswendig.

Und deshalb schreibe ich meine Szenen im Stillen, mit einer Tasse heißen Tees auf dem Tisch links von mir, einer Kanne mit noch mehr heißen Tee am rechten Rand und einer Musik im Kopf, die nicht einmal mein Hund hören kann.

Ihre Mira Alexander

P.S.: Und hier gibt es die Übersicht aller Artikel der Serie #Autorenwahnsinn 2017.

Sie haben eine Anmerkung oder eine Anregung zu diesem Artikel? Ich freue mich über Ihren .