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Szenen, Emotionen, Soundtracks (Fundstück der Woche 2015/38)

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Veröffentlicht: 21.09.2015
Anzahl Wörter: 1537
Lesedauer: 6 min
Inhaltsübersicht
  1. Vertonung der Ebooks mit Booktracks
  2. Soundtrack und Emotionen
  3. Szene im Wandel der Gefühle
  4. Eine Schreibübung
  5. Dieses war der erste Streich …
  6. … und der zweite folgt zugleich
  7. Links

Vertonung der Ebooks mit Booktracks

Die Woche las ich einen Artikel (s. Links, Jane Friedman) über die Vertonung der Ebooks mit Booktracks (s. Links, Booktracks). Da ich schon lange die Idee hatte, einen Soundtrack mit den Musikstücken zu den einzelnen Szenen zu erstellen, musste ich natürlich sofort probehören.

Mein erster Eindruck: Es ist nicht der Bringer. Die Geräusche, mit denen der Text unterlegt waren, waren für meinen Geschmack zu aufdringlich. Ich hatte Mühe, mich auf den eigentlichen Text zu konzentrieren. Vielleicht hing es auch damit zusammen, dass es später Abend war und ich entsprechend übermüdet im Bett lag (der Ort, an dem ich die RSS-Feeds des Tages durchgehe).

Die Idee überzeugte mich auch deshalb nicht, weil ich dort verständlicherweise nicht die urhebergeschützten Werke verwenden könnte, was für mich jedoch den Online-Dienst disqualifizierte (zumindest für meine speziellen Zwecke).

Soundtrack und Emotionen

Das wäre jetzt ein sehr kurzer Artikel über den Fundstück der Woche geworden (was für mich absolut untypisch wäre, fürchte ich), wenn mein assoziatives Gehirn seine Fühler nicht bereits in alle Richtungen gestreckt hätte.

Randnotiz: Ich bin in Wirklichkeit ein genetisches Experiment bei dem anstatt des Gehirns im Schädel ein winziges Alien hockt. Ausgestattet mit Millionen von Dendriten schnappt sich das winzige Kerlchen alles, aber auch wirklich alles, was ihm über den Weg läuft und verfrachtet es in eine riesige Datenbank, deren geheimen Aufenthaltsort ich noch nicht ermitteln konnte. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit holt das nervige Kerlchen irgendwelche Fakten aus dieser Datenbank hervor und verknüpft sie mit den nicht minder unpassenderen Fakten. Und das mit Vorliebe dann, wenn ich eigentlich schlafen müsste.

Also, wo waren wir wieder? Mein assoziatives Gehirn (aka Freddy, das nervigste Alien der Welt) hat also mal wieder die ganze Arbeit geleistet und führte mich zu der Feststellung, dass die Musik eigentlich Emotionen transportiert. Weshalb ich auch beim Schreiben oft meine Emotionen-Playlists plündere.

Ist der Protagonist einer Szene wütend, so lege ich die Wut-Liste auf (ich sage nur, Skunk Anansie). Ist er beschwingt, dann hat Yann Tiersen gute Chancen.

Eine Szene besteht niemals aus einer einzelnen Emotion. Eine Szene lebt vom Wandel. Eine Szene ist Wandel. Nur wenn der Anfangszustand im Laufe einer Szene sich in den Endzustand verwandelt hat, ist das eine Szene. Alles andere ist Beschreibung.

Szene im Wandel der Gefühle

Was bedeutet es nun, dass eine Szene ein Wandel der Gefühle ist? Das bedeutet, dass Sie sich überlegen sollten, welche Emotionen Ihr Protagonist im Laufe der Szene durchlaufen wird. Passend dazu stellen Sie sich anschließend die Playlist zusammen, wo alle Emotionen in korrekter Reihenfolge abgebildet werden.

Wenn Sie den Wandel der Emotionen im Voraus durchdenken, machen Sie es sich ebenfalls leichter, unlogische Sprünge in den Emotionen Ihres Protagonisten zu entdecken.

Es heißt zwar, dass Liebe und Hass nahe beieinander liegen. Doch es hat wohl noch nie ein Mensch geschafft, jemanden mit einem Schlag zu hassen, den er vorher innigst geliebt hat (oder umgekehrt). Dazwischen wird immer eine Zeitspanne sein (auch wenn sie nur sehr kurz dauern könnte), in der dieser Mensch an dem Wahrheitsgehalt der Vorwürfe zweifeln wird, hoffen wird, dass die Vorwürfe sich als haltlos erweisen würden, sich verloren fühlen wird, weil er den Halt verlor, verzweifelt sein wird, weil er nicht mehr wissen wird, wie er ohne dieser anderen Person noch weiter leben soll. Und erst dann wird er vielleicht diese Person hassen. Und sich selbst vielleicht dazu. Dafür, dass er dieser Person vertraut hat.

Sie sehen, aus Liebe wird nie direkt Hass. Da liegt eine weite Reise dazwischen. Genau diese Reise bilden Sie in Ihrer Szene ab. Sonst riskieren Sie (bestenfalls) ein Unverständnis seitens Ihres Lesers. Schlimmstenfalls wird er Sie als Autor nie wieder ernst nehmen können.

Eine Schreibübung

Die Idee mit den Szenen als Ketten aus Emotionen fand ich interessant, also dachte ich weiter darüber nach. Am Schluss überlegte ich mir zwei Emotionsketten, denen keine konkreten Szenen zugrunde lagen.

  1. Wut → Mißtrauen → Unsicherheit → Mißtrauen → Gewissensbisse → Selbsthass
  2. Angst → Mißtrauen → Unsicherheit → Hoffnung → Mißtrauen → Hoffnung → Freude → Euphorie

Welche Szenen könnten auf diese Emotionsketten passen?

Dieses war der erste Streich …

  • Wut Der aufgebrachte Protagonist stellt seinen Feind zur Rede.
  • Mißtrauen Dieser entüllt ihm eine unangenehme Wahrheit über seine Vorfahren, was unser Protagonist natürlich sofort als Lüge abtut.
  • Unsicherheit Eine Vertrauensperson bestätigt dem Protagonisten, dass sein Feind die Wahrheit gesagt hat.
  • Mißtrauen Protagonist ist für einen Augenblick verunsichert. Sobald er sich wieder gefangen hat, unterstellt er seiner Vertrauensperson einen Verrat und Komplott mit dem Feind.
  • Gewissensbisse Der Feind und die Vertrauensperson legen unumstößliche Beweise vor, sodass unser Protagonist nicht umhin kann, diese zu akzeptieren. Nun leidet er unter schrecklichen Gewissensbissen, weil er eine schreckliche, vielleicht nicht wieder gut zu machende Tat begangen hat, weil er nichts über die Wahrheit wusste.
  • Selbsthass Der Feind würgt ihm auch noch eins rein und zeigt ihm die katastrophalen Konsequenzen seiner unüberlegten Handlungen für die unschuldigen Dritten. Unser Protagonist kann nicht anders als sich selbst zu hassen.
  • Wird unser Protagonist sich etwas antun? Wird er versuchen, die Ungerechtigkeit ungeschehen zu machen? Wird er seine Schuld ewiglich abtragen wollen? Wird er damit wiederum andere Unbeteiligten verletzen?

Selbst diese kleine Übung befeuert Fragen zu der imaginären, aus dem Finger gesaugten Szene. Noch vor wenigen Minuten hatte ich keine Ahnung, wie die Szene aussehen könnte. Jetzt gibt es schon die ersten Hinweise, sie die Szenen davor und danach aussehen könnten. Ein paar Minuten, um Ihren Schreibmuskel zu stärken. Als Ergebnis halten Sie vielleicht eine ganze Vorlage für Ihr nächstes Buch.

Diese generische Vorlage für eine Szene (für ein Buch vielleicht auch) ließ bisher offen:

  • wer unser Protagonist, Antagonist, Mentor / Sidekick (aka Vertrauter) sind
  • welches Unrecht die Vorfahren des Protagonisten begangen haben
  • welches Unrecht der Protagonist selbst begangen hat
  • warum es zum Streit zwischen dem Protagonisten und dem Antagonisten kam
  • wer zu Schaden kam (damals durch die Vorfahren und jetzt durch den Protagonisten)
  • welche katastrophalen Folgen das Verhalten des Protagonisten hatte
  • wie sich der Protagonist von nun an verhalten wird

Und doch bin ich mir sicher, ich würde das Buch lesen, wenn mir der Autor nur noch ein kleines bisschen wenig dazu sagt (z.B. in welchem Dilemma der Protagonist nun steckt). Ich würde das lesen wollen, weil ich schon immer die Beziehungen der Charaktere untereinander und ihr Umgang mit den Problemen spannend fand. Und zwar unabhängig vom Genre.

Apropos Genre: Auch wenn diese Vorlage so generisch aussieht, dass sie von einem Märchen über einen Liebesroman, Thriller bis zum Hardcore-Horror alles erlauben würde, schwebt mir hier etwas à la Jules Verne vor. Keine Ahnung warum. Vielleicht weil ich mich als Kind schon fragte, wo nun der Idealismus und der „unvermeidliche“ Kollateralschaden aufhörte und Egoismus und Grausamkeit begann (Captain Nemo).

… und der zweite folgt zugleich

  • Angst Die sehr unsichere Protagonistin gerät in eine für sie neue und unangenehme Situation. Sie hat Angst vor der Ablehnung, denn sie wurde bisher immer nur abgelehnt von den angesagten und weniger angesagten Cliquen.
  • Misstrauen Einer der angesagten Charaktere bietet ihr überraschend seine Freundschaft / Liebe an. Sie, die bisher ein Looser war (oder zumindest so behandelt wurde) ist sofort misstrauisch. Und dabei wünscht sie sich nichts sehnlicher, als dass das wirklich wahr wäre.
  • Unsicherheit Sie vertraut dem angesagten Charakter, traut sich jedoch nicht, die Situation voll auszukosten, weil sie immer noch erwartet, dass die Seifenblase platzt.
  • Hoffnung Der angesagte Charakter schafft es endlich, ihr Vertrauen voll zu gewinnen, und sie geht immer mehr aus sich heraus, blüht regelrecht auf.
  • Misstrauen Das Ekelpaket beobachtet die Entwicklung mit Argwohn. Irgendwas daran passt ihm nicht. Ist es neidisch auf die Protagonistin? Auf ihre Beziehung zum angesagten Charakter? Auf den angesagten Charakter? Wie auch immer, das Ekelpaket säht Misstrauen, was ihm auch gelingt.
  • Hoffnung Die Protagonistin schafft es, sich von der Meinung der anderen (weitgehend) unabhängig zu machen.
  • Freude Die Anschuldigungen des Ekelpakets erweisen sich als falsch und die Protagonistin versöhnt sich mit dem angesagten Charakter, wobei sie jetzt viel selbstsicherer an die Beziehung herangeht.
  • Euphorie Die Protagonistin hat ihren Weg gefunden. Diesen Sieg kann ihr niemand mehr nehmen, selbst wenn es in der Zukunft wieder düstere Zeiten geben wird.

Im Gegensatz zu der ersten Liste scheint mir diese Liste weniger düster zu sein. Vielleicht weil hier ein weitaus versöhnliches Ende ansteht. Warum auch immer, nach dieser Vorlage würde ich wohl eine Teenie-Fantasy-Romanze schreiben. Vielleicht wegen dem zugrunde liegenden Thema (Unsicherheit, seinen Platz in der Gesellschaft finden etc).

Welche Szenen schweben Ihnen vor, wenn Sie meine zwei Emotionslisten betrachten?

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P.S.: Sie sehen, diese einfache Übungen können Ihre Phantasie beflügeln. Und dass sie wirklich einfach sind garantiert schon alleine die Tatsache, dass ich diesen Artikel Nachts in mein winziges Notizbuch notierte, als ich mal wieder nicht schlafen konnte. So schwer können sie also nicht gewesen sein.

P.P.S.: Mich würde übrigens interessieren, welche Szenen Ihnen zu genau diesen zwei Emotionslisten einfallen würden. Sie können sie gerne in den Kommentaren darunter schreiben.

P.P.P.S.: Und da dieser Artikel mit den Soundtracks für die Bücher begann, um bei den Soundtracks für die Szenen zu enden: Wie sehen eigentlich Ihre Soundtracks aus?

Sie haben eine Anmerkung oder eine Anregung zu diesem Artikel? Ich freue mich über Ihren .